Das Märchen vom Bad Sachsaer Urschmerl

Im Volksmund werden die Einwohner unseres Heimatortes Bad Sachsa auch gerne als Schmerls verspottet. Da kann es schon passieren, daß man im Urlaub auf Djerba von einem Bekannten aus einem Nachbarort angesprochen wird: "Na, ihr Schmerls seid aber auch überall !" Hinter der scherzhaften Anspielung steckt das Märchen vom Bad Sachsaer Urschmerl. Im kleinen Stadtpark neben dem Rathaus hat man diesem zu Ehren eine Brunnenfigur als Denkmal gesetzt. 

Das Märchen vom Bad Sachsaer Urschmerl

Vor vielen, vielen Jahren, da gab es im Harz noch Zwerge, die unter den Felsen in den Bergen lebten, Elfen, die auf den Wiesen im Mondlicht tanzten, und die Tiere konnten sprechen. Es gab auch Hexen, die zur Walpurgisnacht auf einem Besen zum Brocken flogen und dort ein wildes Spiel trieben. In den rauschenden Bächen lebten Fische, große kleine, und die zartesten waren die schlanken Schmerle, die silbern glänzten und quicklebendig durch den Schmelzteich und die Uffe schwammen. Aber sie waren etwas vorlaut und schwatzhaft und hielten sich für die wichtigsten Fische in den Harzbächen.

Als nun eines Nachts beim Vollmondschein die Zwerge und Elfen auf der Wiese des Schmelzteiches tanzten, da plätscherten die Schmerle im Wasser und benahmen sich laut und störten den Frieden. Aber es folgte schnell die Strafe. Eine Hexe kam mit ihrem großen Besen daher, schlug dem kräftigsten und lautesten Schmerl auf den Kopf und rief:

" Verzaubert seist du lange Zeit,
bis dickes Moos dir ward zum Kleid.
Fest soll dich eine Kette halten,
da sollst du deines Amtes walten.
Und allen Schmerlen groß und klein,
sollst du ein treuer Hüter sein.
Wenn manches Jahr dann ist verronnen,
wird auch der Bann von dir genommen.
Vollbringe eine gute Tat,
dann alle Pein ein Ende hat."

Da saß er nun, der arme Schmerl, in der Schleusenkammer unter dem "Mönch" des Schmelzteiches, tief unten im Wasser zwischen Steinen und Geröll, an eine lange Kette geschmiedet. Er wurde älter, dichtes Moos wuchs auf seinem Kopf, und so nannten ihn die kleinen Schmerle den "alten Urschmerl". Sie schwammen lustig herum und oft viel zu weit fort, so dass er sie gar nicht mehr beaufsichtigen konnte.

Da gab es nun im Harzstädtchen Sachsa viele frohe und kecke Buben, die gern am Wasser spielten und mit Geschick versuchten, Schmerle zu fangen, denn diese glitzernden, flinken Fischchen gefielen ihnen sehr. Sogar mit kleinen Eimern kamen sie an, trotzdem das Fischen verboten war. Aber es machte doch so viel Spaß im Wasser herumzulaufen und Fische zu fangen! Wer dann die größten Schmerle gefangen hatte, der war der Wildfischkönig. Ach, das war ein lustiges Spiel!!

Aber eines Tages, da gab es eine großen Schreck. Laut und jämmerlich schrie ein Junge auf. Er hatte am Mönch einen Stein aufgehoben, konnte in die Schleusenkammer hineinsehen und was sah er da? Einen alten, riesengroßen Schmerl an einer Kette. Der sah ihn böse an, schlug mit seinem langen Schwanz wütend um sich und blies mit lautem Getöse eine scharfen Wasserstrahl auf den Jungen. Oh, wie erschrak er da. Beinahe wäre er umgefallen. Beide Arme streckte er gen Himmel und starrte den großen Fisch an. Das war der Urschmerl, und der war sehr böse, weil die Buben die kleinen Schmerle fingen. "Weißt du nicht, dass die Fische so gern froh durchs Wasser schwimmen und sich freuen, dass sie leben?" Der Junge verstand und versprach, es auch den anderen Jungs zu sagen, dass sie nun keine Schmerle mehr fangen sollten. Da freute sich der alte Schmerl, dass es ihm gelungen war, den Jungen zu belehren und viele kleine Schmerle zu retten. Nun würden sie lustig weiter schwimmen können.

Als nun wieder in einer Vollmondnacht die Wiese und der Teich in einem wunderbaren Licht dalagen und die feinen Nebel aufstiegen, da ertönte eine leise, ganz feine Musik, die immer näher kam, so dass sie auch der alte Schmerl hörte. Er wurde ganz aufgeregt, und dann vernahm er eine zarte Elfenstimme.

"Nun bist du vom langen Zauber befreit,
Es löse das Moos sich vom schillernden Kleid,
Gelöst sei die Kette, die lang dich beschwert,
Du hast dich für alle Schmerl bewährt."

Da war die feine Stimme wieder fort, aber was war das? Die Kette fiel ab von ihm, das grüne Moos löste sich von seinem Kopf und Leib und lag im Wasser. Der Urschmerl wurde wieder ein junger, blinkender Schmerl, ein schöner, großer mit leuchtenden Schuppen, und der bewegte die Flossen. Oh, nun konnte er wieder wie früher schwimmen. So schwamm er durch den Schmelzteich, durch die Uffe, und alle Schmerle folgten ihm. Es sah aus, als wenn eine silberne Kette durch das Wasser gezogen würde, denn es war Mondschein. Keiner hat erfahren, wohin sie geschwommen sind. Nur der Schwan weiß es wohl, aber er sagt nichts, und wenn er würde sprechen könnte, würde er auch schweigen. Freuen tut er sich aber, dass der alte Schmerl wieder erlöst ist.

Damit die Menschen diese kleine Begebenheit aus dem Harz, aus Sachsa, nicht vergessen, haben sie dem Urschmerl und dem Buben als Brunnenfigur ein Denkmal gesetzt. Dieser Brunnen plätschert nun, und wer ihm aufmerksam lauscht, der wird auch verstehen, was er von alten Sagen des Harzes zu erzählen weiß.